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Lebendes Körpergewebe aus dem 3D-Drucker

categories Allgemein, Bewegungsapparat, Chirurgie, Forschung, Frauen, Gelenke, Krebs, Männer, Mund-Kiefer-Gesicht, Orthopädie, Rund ums Kind, Transplantation, Tumore   1. Juli 2018    

Bildnachweis: Zentrum für Transnationale Knochen-, Gelenk- und Weichgewebeforschung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und Medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden

In der Translationalen Medizin geht es um eine enge Verbindung von neuen diagnostischen und therapeutischen Verfahren, grundlagenorientierter Forschung und klinischer Anwendung – sozusagen „vom Labortisch zum Patientenbett“.

Translationale Knochen-, Gelenk- und Weichgewebeforschung wird am Universitätsklinikum Dresden interdisziplinär durch die Kliniken für Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie vorangetrieben und am Verfahren des 3D-Bioprintings für den Einsatz im Kiefer- und Gesichtsbereich intensiv geforscht. Ziel ist dabei, spezifische Biomaterialien und Zellen lebenden Gewebes für Transplantationen zu erstellen, die zum Beispiel bei angeborenen oder erworbenen Defekten vor allem Knochengewebe mit komplexer dreidimensionaler Form ersetzen können.

„Leider gibt es Bereiche, in denen durch gesetzliche Vorgaben der Fortschritt in der Medizin und der unmittelbare Gewinn in der Patientenbehandlung verzögert werden“, sagte Prof. Cornelius Klein, Chefarzt für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie am Donaulsar Klinikum Deggendorf, kürzlich auf der Pressekonferenz anlässlich des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Dresden. So seien extrem kostenintensive Speziallabore für die Herstellung individueller Plantate erforderlich, von erschwerten Zulassungsbedingungen seit 2007 ganz abgesehen.

— 3D-Bioprinting und Tissue Engineering—

Die meist komplizierten dreidimensionalen Gebilde zur Deckung von Knochendefekten oder -defiziten im MKG-Bereich werden zunehmend computergestützt designt und hergestellt. Titan, Keramiken, Kunststoffe sowie weitere spezielle Biomaterialien finden Einsatz. Das neue Verfahren des 3D-Bioprintings vereint nun die computergesteuerte Fertigung mit der Methode des Tissue Engineerings.
Prof. Dr. Michael Gelinsky, Leiter des Zentrums für Translationale Knochen-, Gelenk- und Weichteilforschung in Dresden, berichtete über die erstmals mögliche Produktion von individuell an den Defekt angepasste Strukturen, die ein lebendes Gewebe darstellen. „Die Idee Gewebearchitektur mithilfe von 3D-Druckern nachzubauen, ist nicht neu, doch können jetzt Zellen und extrazelluläre Matrix miteinander vermischt und aufgebracht werden. So lassen sich beim 3D-Bioprinting Gewebekonstrukte für Knochen aus einer Kombination von Kalziumphosphatzement-Paste und Hydrogel-Zellsuspension hergestellen“, so Prof. Gelinsky.
Sehr von Vorteil sei dies in der klinischen Anwendung bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, wo der Spaltschluss über mehrere Operationen erfolgt. Im ersten OP-Schritt – also beim Verschluss der Lippe – kann Knochengewebe gewonnen und die enthaltenen Zellen getrennt kultiviert und in einer individuellen „Zellbank“ kryokonserviert werden. Beim Verschluss der Kieferspalte wird dann über Bioprinting individuell geformtes Knochengewebe hergestellt.
Nachdem ein dreidimensionales Bild der Kieferspalte erstellt wurde, entsteht somit aus Knochenzement, Hydrogel und kryokonservierten Knochen- und Gefäßzellen ein ‚lebendes Knochentransplantat‘. Dieses können die MKG-Chirurgen anstelle von heute noch üblichen Transplantaten aus dem Becken zur Kieferspaltosteoplastik einsetzen, was den
meist jungen Patienten die lästige, oft mit Schmerzen und Gehbehinderungen einhergehende Entnahme von Knochen aus dem Becken erspart.
Das 3D-Bioprinting-Verfahren könnte demnächst die Medizin in diesem Bereich bahnbrechend verändern, so der Wissenschaftler.

– Weltweit erster Einsatz: Magnesiumschraube löst sich selbst auf –

Über den weltweit ersten Einsatz einer sich selbst auflösenden Magnesiumschraube bei einem Patienten mit kompliziertem Kieferbruch und Kiefergelenkköpfchenfraktur berichtete Dr. Henry Leonhardt, Geschäftsführender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Dresden.
„Ein 25-jähriger Patient stürzte im Oktober letzten Jahres mit dem Fahrrad. Dabei prallte er mit dem Kinn so hart auf, dass er sich eine diakapituläre Kiefergelenkfraktur links, eine hohe Kiefergelenkfortsatzfraktur rechts und eine mediane Unterkieferkörperfraktur zuzog. Die Unterkieferkörperfraktur und Kiefergelenkfortsatzfraktur rechts wurden mit Platten und Schrauben aus Titan versorgt, wie es MKG-chirurgischer Standard ist. Nur wenige MKG-chirurgische Kliniken in Deutschland sind auch darauf spezialisiert, Kiefergelenkköpfchenfrakturen (diakapituläre Frakturen) operativ anzugehen.“ In Dresden sei dies schon lange Tradition, sagte Dr. Leonhardt. Neu ist hier jedoch, resorbierbares Ostteosynthesematerial dafür zu benutzen.
Im konkreten Fall wurde also auch die Kiefergelenkköpfchenfraktur operiert, und zwar mit dem weltweit ersten biotransformierbaren Metallwerkstoff auf Magnesium-Basis. Der Zugang zum Kiefergelenkköpfchen erfolgt über einen Schnitt am Ohr – ähnlich wie bei einem Facelift. Das innere Fragment des Kiefergelenkköpfchens wird von der Kaumuskulatur (M. pterygoideus lateralis) nach vorne gezogen. Es muss zuerst mobilisiert werden, um dann zu dem Kiefergelenkfortsatz mit dem restlichen Kieferköpfchen hin reponiert zu werden. Anschließend wird das Fragment zunächst mit einem Kirschnerdraht fixiert, über den es dann mit einer speziellen kanülierten Headless-Bone-Screw aus Magnesium (Magnezix®) an den seitlichen Pol des Unterkiefergelenkkopfes geschraubt wird. Damit gelingt es, die Höhe des Unterkieferastes exakt wiederherzustellen und so einer Verkürzung dieser Unterkieferseite vorzubeugen.Nach einer vorübergehenden Ruhigstellung für 2 Tage erwies sich die Verzahnung als regelrecht und eine Mundabweichung bei der Öffnung war nicht zu sehen. Im Kontrollröntgen (DVT) war eine regelrechte Frakturstellung zu sehen. Bei regelmäßiger Übung und Normalisierung der Kost zeigte sich in den ambulanten Nachkontrollen nach 3 Monaten eine weitgehend normale Mundöffnung von 4 Zentimetern und auch die Seitbewegung des Unterkiefers nach rechts und links war regelrecht mit 6 bzw. 7 Millimeter.

— Osteosynthesematerial aus Magnesium ist resorbierbar —

Bei Magnezix® handelt es sich um den weltweit ersten biotransformierbaren Metall-
werkstoff auf der Basis von Magnesium. Er zeichnet sich durch beste biomechanische Eigenschaften aus: Die Elastizität ähnelt der des Knochens, während die Stabilität eher den Metallen entspricht. Diese Magnesium-Implantate werden so gestaltet wie ordinäre Schrauben und Platten aus Titan. Die osteokonduktive Fähigkeit stimuliert das Knochenwachstum, sodass schließlich neues Knochengewebe das Magnesium-Implantat ersetzt. Eine Materialentfernung, wie sie bei Titanschrauben häufig noch erfolgt, wird somit überflüssig. Denn dieses hochinnovative Osteosynthesematerial aus Magnesium ist resorbierbar. Aktuell wird es ausschließlich in der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Dresdner Universitätsklinikum zur Stabilisierung von Kiefergelenkköpfchen eingesetzt.

Felicitas Morgenstern

(Quelle: DGMKG-Pressekonferenz, Presseinformation)

Bildtext: Bildgebende verfahren wie die Computertomografie können genutzt werden, um patientenindividuelle und damit passgenaue Implantate zu drucken. Das dargestellte Kahnbein wurde aus einem CT-Datensatz einer Hand gefiltert und mit Hilfe eines Kalziumphosphatzementes gedruckt.

Bildnachweis: Zentrum für Transnationale Knochen-, Gelenk- und Weichgewebeforschung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und Medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden

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