Durch aktuelle Beiträge in Print- und Online-Medien, Rundfunk und Fernsehen entstand bei Patienten und manchen Ärzten der Eindruck, dass es gute klinische Evidenz dafür gäbe, dass eine Behandlung mit Methadon bei Patienten mit verschiedenen Tumorerkrankungen (insbesondere Glioblastomen und Leukämien) die Wirkung von Chemotherapien verstärkt. Es wurde dargestellt, dass dieses Therapiekonzept sich insbesondere bei Patienten mit weit fortgeschrittener Erkrankung bewährt habe, insgesamt seien über 80 Patienten erfolgreich behandelt worden. Diese Patienten wurden nicht am Universitätsklinikum Ulm und nicht im Rahmen einer klinischen Studie behandelt, sondern erhielten Methadon entweder als Schmerztherapeutikum bei Tumorschmerzen oder im Rahmen eines „Off Label“-Einsatzes des Medikaments.
Die wissenschaftlichen Daten, die von der Arbeitsgruppe der Chemikerin Frau Dr. Friesen, die am Institut für Rechtsmedizin der Universität Ulm als Wissenschaftlerin tätig ist, erhoben wurden, beziehen sich ausschließlich auf vorklinische Experimente, d.h. Experimente in Zellkulturen oder wenige tierexperimentelle Studien. Diese Daten lassen sich nicht automatisch auf die Situation beim Patienten übertragen. Es gibt in der Fachliteratur zahlreiche Berichte zur möglichen Wirkungsverstärkung von Chemotherapeutika, oder zur Resensitivierung von Tumoren für eine bestimmte Systemtherapie. Viele dieser vorklinischen Konzepte zeigten allerdings in kontrollierten Studien bei Patienten dann nicht den gewünschten Effekt.
Bei den bisher vorliegenden retrospektiven Analysen von Einzelfällen, bei denen eine Kombination aus Chemotherapie und Methadon eingesetzt wurde, bleibt unklar, ob die beobachteten Therapieverläufe direkt auf die Methadon-Einnahme zurückzuführen sind. Um die Wirksamkeit des Einsatzes von Methadon zur Co-Therapie von Tumoren tatsächlich zu beurteilen, ist es daher unbedingt notwendig, prospektive, kontrollierte, randomisierte Studien durchzuführen.
Wir stimmen daher mit der kürzlich von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) verfassten Stellungnahme überein, dass die Wirksamkeit von Methadon in kontrollierten Studien überprüft werden muss und eine unkritische Off-Label-Anwendung von Methadon nicht gerechtfertigt ist. Dies gilt umso mehr, wenn Patienten im Glauben an die Wirksamkeit von Methadon gut etablierte und wirksame Therapiekonzepte für ihre Tumorerkrankung ablehnen, da sie mit Methadon behandelt werden wollen.
Überdies ist festzuhalten, dass Methadon als Opioid, dessen Verschreibung dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, deutliche Nebenwirkungen haben kann, die u.a. die Lebensqualität von Patienten beeinträchtigen können.
Die Medizinische Fakultät der Universität Ulm, das Universitätsklinikum Ulm und das Comprehensive Cancer Center Ulm unterstützen daher nachdrücklich die Durchführung kontrollierter klinischer Studien, um auf der Basis von belastbaren präklinischen Daten die Frage der Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Methadontherapie bei Patienten mit Tumorerkrankungen nach etablierten wissenschaftlichen Standards zu klären. Außerhalb klinischer Studien unterstützen die genannten Institutionen jedoch aus den oben genannten Gründen den unkontrollierten Einsatz von Methadon in der Tumortherapie nicht.
Quelle. Universitätsklinikum Ulm, Juli 2017