| Ein internationales Team von Wissenschaftlern, bei dem Forscher des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) maßgeblich beteiligt waren, hat herausgefunden, dass fast die Hälfte aller erblichen Risikofaktoren für eine koronare Herzkrankheit auch mit völlig anderen Erkrankungen in Verbindung steht, etwa Schizophrenie, chronisch entzündlicher Darmerkrankung oder Migräne. Im Rahmen dieser heute online im Journal of the American College of Cardiology veröffentlichten Studie haben die Forscher außerdem sechs weitere Varianten im menschlichen Erbgut identifiziert, die bei einer koronaren Herzkrankheit (KHK) häufiger vorkommen. Für die KHK, bei der die Herzkranzgefäße verengt sind, kennen die Wissenschaftler damit jetzt 62 solcher erblichen Risikofaktoren.
Aufschlussreiche Veränderungen
Rund 3,26 Milliarden Bausteine umfasst das menschliche Genom. Darin nach krankheitsrelevanten Veränderungen zu suchen, ähnelt der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. In genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) konzentrieren sich die Forscher auf typische Veränderungen im Erbgut, die sogenannten SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms). Sie bezeichnen Stellen im DNA-Strang, bei denen nur ein einzelner Baustein (Nukleotid) verändert ist. SNPs sind unregelmäßig im ganzen Genom verteilt, durchschnittlich kommen sie alle 300 Bausteine vor. Meistens liegen sie in Abschnitten zwischen Genen, also Bereichen, die keine Information für den Bauplan von Proteinen enthalten. Diese Regionen können aber regulatorische Funktionen haben, z. B. kontrollieren, wie oft ein Bauplan abgelesen und umgesetzt wird. „Wenn wir ein SNP finden, dass bei Menschen mit koronarer Herzkrankheit signifikant häufiger auftritt, dann haben wir damit zunächst einen Marker für die Erkrankung gefunden. Wie diese Veränderung im Erbgut mit der Krankheit zusammenhängt, wird dann im zweiten Schritt erforscht“, erklärt Frau Prof. Jeanette Erdmann, DZHK-Professorin am Institut für Kardiogenetik der Universität zu Lübeck, die gemeinsam mit Prof. Heribert Schunkert vom DZHK-Standort in München an der aktuellen Studie mitarbeitete. Denn anders als bei monogenen Erkrankungen, bei denen eine veränderte Stelle im Genom die Ursache für die Erkrankung ist, gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den komplexen Krankheiten. Viele Faktoren wie Lebensstil, Umwelteinflüsse und erbliche Faktoren entscheiden darüber, ob man erkrankt. Ein mit KHK assoziierter SNP, löst die Krankheit daher nicht aus, sondern sagt etwas über das statistische Risiko aus, daran zu erkranken.
Eine Variante – viele Effekte
In der nun veröffentlichten Studie haben die Wissenschaftler das Erbgut von 42.335 Menschen mit koronarer Herzkrankheit und 78.240 gesunden Menschen mit 5.000 häufig vorkommenden SNPs verglichen. Viele dieser SNPs waren bereits bei anderen Erkrankungen beschrieben. Mit diesem Ansatz konnten sie sechs neue genetische Varianten identifizieren, die auch das Risiko für eine KHK erhöhen. Anschließend wollten die Forscher das Phänomen, dass erbliche Risikofaktoren mit unterschiedlichen Krankheiten in Verbindung stehen, genauer untersuchen. Das haben sie in der bis dato umfassendsten derartigen Analyse für die bekannten 62 KHK Risikofaktoren überprüft. Grundlage dieser Arbeit war der GWAS Katalog, in dem die Ergebnisse aller publizierten genomweiten Assoziationsstudien verzeichnet sind. Heraus kam, dass ein Drittel der 62 SNPs mit traditionellen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen z. B. Bluthochdruck oder Cholesterinwerten verknüpft ist, das war wenig überraschend. Aber fast die Hälfte spielt auch bei völlig anderen Erkrankungen eine Rolle, etwa Schizophrenie oder Migräne. Besonders auffällig war eine Variante auf Chromosom 12, die ein Risikofaktor für 17 andere Erkrankungen oder Krankheitsmerkmale ist. Darunter rheumatoide Arthritis, Schilddrüsenunterfunktion, Zöliakie oder chronische Entzündung der Gallenwege. Obwohl noch nicht klar ist, wie das alles zusammenhängt, sind diese Erkenntnisse sehr wertvoll. Denn sie liefern neue Ansatzpunkte, um aufzuklären, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen entstehen und sind damit wichtige Schritte auf dem Weg zu neuen Therapien.
Originalarbeit:
Systematic Evaluation of Pleiotropy Identifies 6 Further Loci Associated With Coronary Artery Disease. Webb et al., Journal of the American College of Cardiology Feb 2017, 69 (7) 823-836; http://www.onlinejacc.org/content/69/7/823
Kontakt:
Prof. Dr. Jeanette Erdmann, Universität zu Lübeck, Institut für Kardiogenetik, Tel.: 0451 3101-8300, jeanette.erdmann@iieg.uni-luebeck.de
Prof. Dr. Heribert Schunkert, Deutsches Herzzentrum München, Klinik an der Technischen Universität München, Klinik für Herz-Kreislauferkrankungen, Tel.: 089 1218-4073, siebe@dhm.mhn.de
Über das DZHK
Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) will erreichen, dass neue Erkenntnisse aus der Herz-Kreislauf-Forschung schnellstmöglich bei den Patienten ankommen. Ziel ist es, Diagnose, Prävention und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland zu verbessern. Dafür arbeiten im DZHK Grundlagenforscher und klinische Forscher aus 30 Einrichtungen an sieben Standorten zusammen. Das DZHK wurde 2011 auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gegründet und wird zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent von denjenigen Ländern gefördert, in denen seine Mitgliedseinrichtungen ihren Sitz haben. Es gehört zu den sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG), die sich der Erforschung großer Volkskrankheiten widmen.