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Mangelernährung – das unterschätzte Risiko in der Onkologie

categories Allgemein, Ernährung, Krebs   10. November 2014    

„Schätzungen zufolge versterben in Deutschland mehr als 25 Prozent der Krebspatienten nicht an ihrer Grunderkrankung, sondern an den Folgen einer Mangelernährung und der damit verbundenen körperlichen Auszehrung“, erklärte Prof. Dr. med. Arved Weimann die aktuelle Situation in der Onkologie. Anlass war die Round-Table-Diskussion  „Ernährung ist Teil der onkologischen Therapie – Nur Theorie oder tägliche Praxis?“, die im Anschluss an den DGHO-Kongress in Hamburg stattfand.

Weimann ist Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie im Klinikum St. Georg in Leipzig und Experte für Ernährung bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM). Gemeinsam mit den Referenten Prof. Dr. med. Ulrich Mahlknecht, Chefarzt der Onkologie und Hämatologie der St. Lukas Klinik in Solingen und Prof. Dr. med. Ingolf Schiefke, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie im Leipziger Klinikum St. Georg, leitete Weimann die Expertendiskussion, in der sich Onkologen aus der Klinik sowie mit eigener Niederlassung, Internisten und Ernährungsfachkräfte rege über das Pro der Ernährungsmedizin und die „Hürden bei der Umsetzung in der täglichen Praxis“ als Teil der onkologischen Behandlung austauschten. Das Fazit: alle Tumorpatienten sollten regelmäßig auf drohende Mangelernährung sowie auf die Entwicklung einer Kachexie untersucht werden.

Die Ursachen für Mangelernährung sind multifaktoriell

Die Fakten sprechen für sich: Mehr als die Hälfte aller Tumorpatienten weisen bereits vor der Diagnosestellung einen unfreiwilligen und signifikanten Gewichtsverlust auf. Bei Magen- oder Pankreastumoren sind sogar mehr als 80 Prozent der Patienten mangelernährt. Dabei ist die Mangelernährung als unabhängiger Risikofaktor nicht zu unterschätzen. Sie führt zu einem Verlust der Lebensqualität, reduziert die Toleranz für Chemo- und Bestrahlungstherapie, verschlechtert die Prognose und führt bei mehr als einem Viertel der Krebspatienten zum Tod 1. In Deutschland sind davon über 100.000 Patienten pro Jahr betroffen. Die Ursachen für die Mangelernährung bei Tumorpatienten sind multifaktoriell. 40 Prozent der Patienten leiden unter Appetitlosigkeit, 46 Prozent an Geruchs- und Geschmacksveränderungen und 60 Prozent unter Völlegefühl. Hinzu kommen Übelkeit (39 Prozent) und Erbrechen (27 Prozent) 2.

Dennoch führten kaum Kliniken ein strukturiertes Screening des Ernährungszustands nach Kondrup 3 (NRS 2002) durch, das Weimann u.a. empfiehlt. “Nicht immer ist es leicht zu erkennen, dass ein Patient mangelernährt oder kachektisch ist”, erklärte Weimann. Dann beispielsweise, wenn ein Patient noch gut ernährt aussehe und ein vorangegangener Gewichtsverlust von 7-10 Prozent oder mehr innerhalb von drei Monaten nicht dokumentiert wurde. “Insbesondere die Nahrungsaufnahme in der letzten Woche vor der stationären Aufnahme ist ein hochsignifikanter Parameter”, so Weimann. Zum Thema Kosten für ein Ernährungsscreening sagte er: “Wir haben das 2009 bei uns eingeführt. Und wir haben für unser Haus zeigen können, dass es auf keinen Fall mit einem Verlust für das Klinikum einhergeht.” Weimann kündigte an, dass Leitlinien zur bedarfsgerechten Ernährungstherapie in der Onkologie derzeit von der DGEM aktualisiert werden.

1) Löser Chr. et al. Moderne Ernährungstherapie bei onkologischen Patienten – ein Positionspapier. Aktuelle Ernährungsmedizin 2014; 39:127-131
2) Zürcher, Journal Onkologie, 2008, 05: 137-143
3) Kondrup et al. Clin Nutr 2003; 22: 415 – 421

Warum ist die Ernährungstherapie in der Onkologie nicht im Fokus?

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, “dass die Mehrzahl der Kollegen immer noch glaubt, das Thema Ernährungstherapie sei nicht wichtig”, wie mehrere Diskussionsteilnehmer unisono berichteten. Jeder Abbruch der onkologischen Therapie aufgrund von Mangelernährung sei tragisch.

Die Hauptprobleme, die Ernährungstherapie in den klinischen Alltag zu integrieren, skizzierte Prof. Dr. med. Ulrich Mahlknecht: “Das Problem ist, dass das Thema in den Köpfen der Kollegen aus der Onkologie nicht angekommen ist”. Er führte an, dass es seines Wissens nur wenige Kliniken in Deutschland gebe, wo eine Ernährungsfachkraft bei der Visite anwesend sei und ein Ernährungskonzept erstelle. “Es gibt Vorbehalte insbesondere gegenüber der parenteralen Ernährung, vor allem zu Hause”, so Mahlknecht. Hinzu komme, dass das Thema Ernährung in der onkologischen Ausbildung keine Rolle spiele.

“Kollegen fixieren sich oft auf die neuesten Antikörper und übersehen, was sie mit einer Ernährungstherapie für ihre Patienten tun können”, so der Inhaber einer onkologischen Schwerpunktpraxis in Braunschweig.

Struktur einer erfolgreichen Ernährungstherapie

Prof. Dr. med. Ingolf Schiefke erklärte, welche Methoden und Tools Onkologen anwenden können, um eine erfolgreiche Ernährungstherapie umzusetzen: „In unserem Krankenhaus gehört die Untersuchung des spezifischen Ernährungszustands und eine BIA-Messung zum Standardverfahren bei der Aufnahme eines Patienten“, so Schiefke. Der Kondrup-Score habe sich bewährt, den man in wenigen Minuten abfragen könne. „Im zweiten Schritt wird geklärt, welche Ernährung für den Patienten sinnvoll ist“, erklärte Schiefke. Eine gute Orientierung hierzu biete laut Schiefke ein Behandlungspfad, den die Firma Baxter unter www.baxter-algorithmen.de  Ärzten zur Verfügung stelle. „Darüber hinaus werden Fallsammlungen und ein Dosiskalkulator zur Orientierung angeboten“, sagte Schiefke. Diese Hilfsmittel seien validiert und bereits etabliert.

Für die Versorgung empfahl Schiefke neben der regelmäßigen Gewichtsmessung und dem Kondrup-Score, eine Infrastruktur für die Ernährungstherapie aufzubauen. Ernährungsfachkräfte und Oecotrophologen seien eine große Hilfe.“ Wichtig sei ebenso, bei der ambulanten Umsetzung einer enteralen oder parenteralen Ernährungstherapie das Umfeld des Patienten – Angehörige und Pflegedienste – mit einzubeziehen.

Die Ernährungstherapie ist laut Schiefke in der Praxis gut handhabbar. Nun gehe es darum, dass bereits sensibilisierte Onkologen ihre Kollegen über die Möglichkeiten und Notwendigkeit der Ernährungstherapie als Bestandteil der onkologischen Behandlung aufklären. „Das Problem ist die Awareness“, so Schiefke. Eine andere Möglichkeit, die Ernährungstherapie in der Onkologie durchzusetzen, ist laut Schiefke, den umfänglich erfassten Ernährungszustand des Patienten als Voraussetzung für die Verordnung einer Chemotherapie einzuführen: „Vielleicht ist der deutsche Arzt nur dann in die richtige Richtung zu bewegen, wenn der Korridor durch entsprechende Regeln vorgegeben wird.“

Aufklärung von Patienten und Angehörigen ist wichtig

Durchweg positiv wurde die Entwicklung beurteilt, dass Patienten heute aufgeklärter sind und Ärzte mit klaren Forderungen konfrontieren. Allerdings werde die Ernährungstherapie von Patienten und ihren Angehörigen nur selten eingefordert. „Der Patient geht davon aus, dass es normal ist,  unter der onkologischen Therapie stark an Gewicht zu verlieren“, beschrieb eine Ärztin das Phänomen.

In vielen Fällen reiche orale Trinknahrung nicht aus, um Patienten bedarfsdeckend zu ernähren. Dennoch stünden diese häufig einer enteralen oder parenteralen Ernährungstherapie kritisch gegenüber, bei Angehörigen löse eine künstliche Ernährung Ängste aus. Es wurde beklagt, dass es in einigen Fällen nicht gelinge, Patienten von den Vorteilen einer Ernährungstherapie zu überzeugen.

„Die breite Information, dass ein Gewichtsverlust im Rahmen einer Tumorerkrankung ein gefährliches Merkmal ist, würde sehr helfen“, konstatierte der Braunschweiger Onkologe mit Schwerpunktpraxis und fragte, „Warum wird die Mangelernährung bei Krebspatienten nicht stärker in der Öffentlichkeit diskutiert? Das ist ein Riesenthema!“

Konsens

Abschließend hielten die Teilnehmer des Symposiums fest, dass alle Tumorpatienten im Verlauf ihrer Erkrankung regelmäßig und standardisiert auf drohende Mangelernährung sowie auf die Entwicklung einer Kachexie untersucht werden müssten. Ernährung ist ein essenzieller Bestandteil der onkologischen Therapie. Die individuell erforderliche Energie- und Nährstoffzufuhr sollte durchgehend sichergestellt werden, falls erforderlich oral, beziehungsweise enteral und parenteral.

Weitere Informationen finden Sie unter www.baxter.de

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