22 Sep |
Nachwuchs-Chirurgen im Dauerstress: Kürzere Arbeitszeiten schaden der BehandlungsqualitätAllgemein, Chirurgie, Frauen, Männer 22. September 2014 |
Arbeitszeiten von 60 bis 80 Stunden pro Woche sind für Klinikärzte keine Seltenheit. Ärzteverbände fordern deshalb immer wieder kürzere Arbeitszeiten und Freizeitausgleich für deutsche Ärzte. Auch junge Nachwuchschirurgen klagen über zu lange und arbeitsintensive Schichten. Doch Experten befürchten, dass die Qualität der Facharztausbildung bei kürzeren Schichten abnimmt und auch die Versorgung der Patienten leidet – das bestätigt eine amerikanische Studie. Um Assistenzärzte zu entlasten, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) eine klar strukturiertes Weiterbildungscurriculum und sinnvolle Aufgabenverteilung.
„Erfahrungen und Praxis sind neben einem fundierten theoretischen Fachwissen der wichtigste Ausbildungsinhalt für einen kompetenten Chirurgen“, sagt DGCH-Generalsekretär Professor Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer, „deswegen ist es notwendig, dass angehende Fachärzte so viele Eingriffe wie möglich miterleben“. Tatsächlich kommt eine Verkürzung der Arbeitszeit von Chirurgen weder der ärztlichen Weiterbildung, noch den Patienten zu Gute – das zeigt die Literatur-Studie in der Fachzeitschrift Annals of Surgery. Insbesondere bei Patienten mit komplexen Erkrankungen bestünde ein erhöhtes Risiko gefährlicher Komplikationen. Der Grund: bei den häufigen Schichtwechseln der Ärzte gehen Informationen verloren. Auch für die Kompetenz des Nachwuchses scheint die Dienstverkürzung nicht förderlich: Assistenzärzte mit einer maximalen Einsatzdauer von 16 Stunden am Stück schneiden gemäß der Studie in Facharztprüfungen teilweise sogar schlechter ab als ihre länger arbeitenden Kollegen.
Dennoch tragen die langen Arbeitszeiten mit Schuld daran, dass der Beruf des Chirurgen bei jungen Medizinern in Verruf gerät. „Die arbeitsintensive Ausbildung und die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie machen die Chirurgie für viele angehende Ärzte zu einem unattraktiven Fach“, beschreibt Professor Dr. med. Peter M. Vogt, Präsident der DGCH und Direktor der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Nichtsdestotrotz zeigt die amerikanische Untersuchung, dass kürzere Arbeitszeiten die Situation nicht verbessern: In Umfragen gaben mehr als die Hälfte der Teilnehmer an, dass sie sich ebenso übermüdet fühlen, wenn sie kürzere Schichten arbeiten. „Selbstverständlich gilt es, Überbelastung von Assistenzärzten zu vermeiden“, meint DGCH-Präsident Vogt. Ob Dienstverkürzungen allein dazu beitragen, hält er allerdings für fraglich. „Mindestens ebenso wichtig wäre, dass das Weiterbildungscurriculum in Deutschland eine neue und einheitliche Struktur bekommt.“ Denn vor der Facharztanerkennung müssen die Nachwuchs-Chirurgen es schaffen, wichtige Operationen nachzuweisen. Diese hat die Bundesärztekammer in der Weiterbildungsordnung für Ärzte festgelegt.
„Das klassische Konzept der Weiterbildung, nämlich als tariflich vergütete Arbeit unter dem Arbeitszeitgesetz in Kombination mit chirurgischer Ausbildung, stößt aktuell an seine Grenzen“, erläutert Vogt, „da die Fallpauschalenvergütung Weiterbildung gar nicht berücksichtigt und stattdessen nur noch der wirtschaftliche Betrieb in den Kliniken optimiert wird.“ Welcher Eingriff zu welchem Zeitpunkt erfolgen soll, bestimmt in den meisten Kliniken der Chefarzt. „Nur dieser steht zunehmend vor der Situation, dass die Weiterbildungsassistenten entweder im Frei nach Dienst sind, oder administrative Aufgaben erledigen müssen“, sagt der Präsident der DGCH. Sinnvoll wäre es auch, die Arbeit so zu verteilen, dass die Assistenzärzte sich vor allem auf ihre medizinischen Aufgaben konzentrieren können. Denn viele Überstunden seien reiner Papierkrieg. „Wir sind Chirurgen geworden, um im OP mit Menschen zu arbeiten, nicht um am Schreibtisch zu sitzen“, so Vogt.
Quelle
Ahmed N et al.; A systematic review of the effects of resident duty hour restrictions in surgery: impact on resident wellness, training, and patient outcomes; Ann Surg 2014; 259: 1041-1053